33 Ich war ihr sehr dankbar, aber mir fiel auch auf, dass sie sehr müde aussah. Ich fragte sie, ob es ihr gut ginge. Vielleicht brauchte sie selbst etwas Hilfe? Sie antwortete mir, dass sie seit vier Nächten mit der ganzen Familie, mit den Kindern und der Grossmutter im Keller schlief … „Und warum?“ fragte ich. – „Es ist doch Krieg!“ antwortete die Nachbarin, und begann sich selbst zu wundern. „Oh, stimmt, stimmt …“ – Ich versuchte, die Verlegenheit irgendwie zu überspielen. – „Und du?“, fragte sie dann. „Wir schlafen zu Hause, unsere Schlafzimmer sind im ersten Stock. Wir haben keine Zeit an den Krieg zu denken, wir haben ja Zwillinge . Ich versuche zu schlafen, sobald ich die Gelegenheit dazu habe.“ Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile in aller Ruhe, und die Ärztin wollte gar nicht mehr gehen . Man spürte, dass auch bei ihr Ruhe eingekehrt war. Und unserem Sohn ging es nach ihren Empfehlungen schnell wieder besser. Natürlich haben wir, wie viele andere Menschen damals auch, unseren Keller als Schutzraum eingerichtet. Aber wir hatten nicht den Eindruck, bei einem Luftangriff oder über Nacht als 11-köpfige Familie mit zwei drei Monate alten Babys dort hinuntergehen zu müssen. Wir hatten die Ruhe und den Frieden, zu Hause zu bleiben. Aus einer Predigt von Ivo wussten wir und konnten nun gut spüren, dass diese Gerichte nicht für uns sind, dass dies nicht unser Krieg ist. Es war nicht leichtsinnig oder krampfhaft, nein, es war wie unter einem sicheren Regenschirm bei einem unerwarteten Wolkenbruch. Ich wurde an ein Bild aus dem Evangelium erinnert: „… In jener Nacht werden zwei in einem Bett liegen; einer wird genommen, der andere bleibt zurück. Zwei werden miteinander mahlen, die eine wird genommen, die andere bleibt zurück. Zwei werden auf dem Feld sein; einer wird genommen, der andere bleibt zurück.“ (Lukas 17,34-36). In der heutigen Realität sieht das genauso aus: „Es werden zwei Familien in der Nachbarschaft leben: die eine wird in den sich vermehrenden Frieden hineingenommen, die andere wird in der Realität des Krieges gelassen; die eine wird in die übernatürliche Versorgung hineingenommen, die andere wird in der Sorge um den Lebensunterhalt gelassen; die eine wird im kindlichen Vertrauen in die Sicherheit hineingenommen, die andere wird in der Erwartung des Unglücks gelassen …“ usw.
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